(Schul-)Pädagogik der Vielfalt
Inklusiv lehren und lernen

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Das Projekt „(Schul-)Pädagogik der Vielfalt: Inklusiv lehren und lernen“ zielt auf eine differenzreflexive Professionalisierung zukünftiger Lehrer_innen an Gymnasien und Berufsschulen und möchte diese für die Interdependenzen der Kategorien Behinderung und Geschlecht sensibilisieren.

Athene Preis 2018 für gute Lehre

Die Organisator*innen der „Queeren Woche“ Nadine Balzter, Florian Cristobal Klenk und Dr. Olga Zitzelsberger wurden mit dem Athene Preis 2018 für gute Lehre (Fachbereichspreis Humanwissenschaften) für ihr langjähriges Engagement in Sachen Vielfalt ausgezeichnet.

Die Projektmitarbeiter*innen im Wintersemester 2018/2019 (v.l.n.r.: Florian Cristobal Klenk, Julia Kadel und Nadine Balzter)
Die Projektmitarbeiter*innen im Wintersemester 2018/2019 (v.l.n.r.: Florian Cristobal Klenk, Julia Kadel und Nadine Balzter)

Die Projektmaßnahmen umfassen die Konzeption, Durchführung und Evaluation von Lehrveranstaltungen, die sich den Herausforderungen einer inklusiven Bildung aus Perspektive der Gender, Queer und (Dis)Ability Studies nähern.

Um einen flexiblen Einstieg in die Thematik zu bieten, werden hierzu regelmäßige Lehrveranstaltung mit …

• historisch-systematischen

• biographischen

• schulpraxisreflektierenden

… Zugängen im Pflichtbereich (P2) sowie Wahlpflichtbereich (WP2 und WP3) der Grundwissenschaften am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik (Praxislabor) der TU Darmstadt angeboten. Besonderer Wert wird auf eine Verzahnung von Theorie- und Praxiselementen gelegt. Durch regelmäßige Vorträge von Fachexpert_innen, innovative Workshops zum Abbau von Vorurteilen (Kooperation mit dem Projekt „Lebende Bibliothek: Sprich mit deinen Vorurteilen“) sowie begleiteten Praxisphasen an Schulen, sollen Studierende vielfältige Einblicke in die Prozesse und Widersprüche inklusiver Bildungspraxis und Schulentwicklung erlangen.

Heteronormative Zweigeschlechtlichkeit (Degele 2008) stellt bis heute ein grundlegendes Ordnungsprinzip westlicher Gesellschaften dar, das vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen diskriminiert und nicht zuletzt in ihren persönlichen sowie beruflichen Möglichkeiten einschränkt. Neben der geschlechtlich sexuellen Fremd- und Selbstverortung wird einigen Menschen zudem „das Etikett »behindert« angeheftet – ebenfalls mit weit reichenden Konsequenzen, gehören sie damit doch zu einer Minderheit, deren gesellschaftliche Teilhabe noch längst nicht selbstverständlich ist“ (Köbsell 2010: 16).

Gleichwohl die Realität im Feld der Schule bereits von vielfältigen Lebensweisen mit mehrfachen Zugehörigkeiten durchzogen ist, stellen nach wie vor diskursiv vermittelte Vorstellungen von ‚Normschülern‘ (männlich, weiß, heterosexuell, autochthon, nicht behindert) den Ausgangspunkt für das unterrichtspraktische Handeln vieler Lehrkräfte dar. Ihrem normativen Anspruch nach soll Schule jedoch allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig von ihren – durch vielfältige Differenzlinien durchzogenen – gesellschaftlichen Verortungen, gleiche Bildungschancen eröffnen. Dem folgend erscheint es sinnvoll, angehende Lehrkräfte bereits in der ersten Ausbildungsphase für auf Macht- und Ungleichheitsverhältnissen basierende Praktiken der Normierung und Normalisierung entlang der Kategorien Behinderung und Geschlecht zu sensibilisieren.

Diskussionsgrundlage des in Schule und Universität zunehmend an Relevanz gewinnenden Paradigmas der Inklusion stellt in diesem Zusammenhang der Leitgedanke der UN Behindertenrechtskonvention dar, wonach behinderten Menschen und mehrfach benachteiligten Menschen die gleichberechtigte und uneingeschränkte Partizipation am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen ist (vgl. www.behindertenrechtskonvention.info). Das hiesige Bildungssystem ist dem folgend danach auszurichten, dass behinderten Kindern und Jugendlichen „die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern“ (Artikel 21. Abs. 2b). Dieses Vorhaben zeitigt Konsequenzen für das deutsche Bildungswesen im Allgemeinen sowie für die Professionalisierung von Lehrer_innen im Besonderen wie sich anhand veränderter und verändernder Schul- und Lehrerbildungsgesetze in ganz Deutschland erkennen lässt. So sprach sich auch die Kultusministerkonferenz bereits mehrmals (KMK 2011; 2015) für eine „quantitative und qualitative Ausweitung der inklusiven Bildungsangebote“ (KMK 2011: 3) aus. Führt man sich zudem vor Augen, dass zwar fast jedes dritte Kind mit Förderbedarf eine Regelschule besucht (31%), die wenigsten davon jedoch an Gymnasien inklusiv unterrichtet werden und von ca. 40.000 Schulabgänger_innen mit Förderbedarf nur knapp 10.000 einen Ausbildungsplatz wahrnehmen, wird ersichtlich, dass die Chance auf eine erfolgreiche gesellschaftliche Teilhabe für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf mit der Höhe der Bildungsstufe sinkt (vgl. Klemm 2015; Enggruber/Rützel 2014).

Die Professionalisierung von Lehrkräften an Gymnasien und an berufsbildenden Schulen erscheint vor diesem Hintergrund als ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem, der auch im Rahmen der universitären Ausbildungsphase gegangen werden sollte.

Die von Annedore Prengel entwickelte Pädagogik der Vielfalt (Prengel 2006; 2014) stellt den theoretischen Ausgangspunkt des Projektes dar, welches Lehrkräfte für die Reflexion und Gestaltung inklusiver Lehr- und Lernsettings vorzubereiten sucht. Der im Projekt verwendete Inklusionsbegriff orientiert sich damit am Kerngedanken der egalitären Differenz, der die Verschiedenheit, aber Gleichwertigkeit eines jeden Individuums zum Ausgangspunkt des (schul )pädagogischen Denkens und Handelns erklärt. Die Pädagogik der Vielfalt geht von der „Unbestimmbarkeit der Menschen“ aus und „wendet sich gegen alle Verdinglichungen in der Gestalt von Definitionen, was ein Mädchen, ein Junge, ein Verhaltensgestörter, eine Türkin … sei“ (Prengel 2006: 191). Die Erkenntnis über die „Unbestimmbarkeit der Menschen“ verweist hierbei auf ein zentrales Moment einer differenzreflexiven Professionalisierung, die gerade nicht auf die Verfügbarkeit der eigenen und anderen Person setzt oder abzielt, sondern den reflexiven Umgang mit den Grenzen des Wissens über sich selbst und über Andere als Teil pädagogischer Professionalisierungsprozesse versteht (Balzter et al. 2017: 227).

Wie anhand bildungspolitischer Debatten ersichtlich wird (s.o.) reduziert sich der Begriff der Inklusion zuweilen auf das Thema Behinderung, wodurch weitere Ungleichheitsdimensionen und Differenzordnungen, die mit der Kategorie in Wechselwirkung stehen, aus dem Blick geraten können (vgl. Budde/Hummerich 2013). Um eine solche Reduktion zu vermeiden, verfolgt das Projekt eine kritisch-dekonstruktive Perspektive (Hartmann 2002; Balzter et al. 2017) in der gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse in ihren Wechselwirkungen sowie in ihren Auswirkungen auf die Subjektkonstitution in den Fokus pädagogischer Reflexionen rücken. „Mit dem Bemühen um Inklusion verbindet sich dann die Perspektive der unabschließbaren Selbstverständigung einer Gesellschaft darüber, wie sie Differenz und damit verbunden Inklusions- und Exklusionsdynamiken (re-)produziert und bearbeitet“ (vgl. Häcker/Walm 2015).

Gesellschaftliche und schulpädagogische Modelle der Exklusion, Separation und Integration differenter Lebensweisen werden im Projekt zu Gunsten inklusiver Perspektiven abgelöst und in den Lehrveranstaltungen unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse der Gender (vgl. Rendtorff 2015; Bräu/Schlickum 2015; Wedl/Bartsch 2015), Queer (Klaaper 2015; Degele 2009; Balzter/Klenk/Zitzelsberger 2017; Hartmann 2002) und Disability Studies (vgl. Raab 2012; Rathgeb 2012; Pfahl/Buchner/Traue 2015) reflektiert. Die intersektionale Perspektive beugt damit einem verengten Blick auf Handicap (Benachteiligung) vor, der behinderte Menschen auf Impairment (Schädigung) reduziert und ihnen damit nicht selten eine Geschlechtlichkeit und Sexualität abspricht, obwohl es ein empirischer Fakt ist, dass „kein Mensch »nur« behindert ist“ (Waldschmit 2010: 36).

Gender, Queer und Disability Studies korrespondieren insofern in der Kritik und Dekonstruktion fraglos angenommener Normalitätsordnungen und bieten dadurch wichtige analytische Impulse für schulpädagogische Professionalisierungsdebatten unter dem Paradigma der Inklusion. Macht- und Herrschaftskritischen Perspektiven folgend wendet sich das Projekt damit von einem „toleranzpluralistischen Integrationskonzept“ ab, das Vielfalt in pädagogischen Institutionen lediglich in einer „befriedeten und entpolitisierten“ Weise (Klapeer 2015: 27) zu ‚verwalten‘ und zu ‚nutzen‘ sucht. Kategorien wie Behinderung, Geschlecht und Sexualität werden demgegenüber nicht (primär) als individuelle Eigenschaften von Personen verhandelt, sondern als Prozess und Effekt gesellschaftlicher Normierungs- und Normalisierungspraxen, die durch pädagogische Theorie und Praxis (re )produziert werden.

• Balzter, Nadine/Klenk, Florian Cristobal/Winkler, Christine/Zitzelsberger, Olga (2017): Näherungen an eine kritisch-dekonstruktive Professionalisierung angehender Lehrkräfte. In: Balzter, Nadine/Klenk, Florian Cristobal/Zitzelsberger, Olga(Hrsg.): Queering MINT. Impulse für eine dekonstruktive Lehrer_innenbildung. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich, S. 213-232.

• Budde, Jürgen/Hummerich, Merle (2013): Reflexive Inklusion. In: Zeitschrift für Inklusion-online.net http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/193/199 [Zugriff am 25.05.2015].

• Bräu, Karin/Schlickum, Christine (2015) (Hrsg.): Soziale Konstruktionen in Schule und Unterricht. Zu den Kategorien Leistung, Migration, Geschlecht, Behinderung, Soziale Herkunft und deren Interdependenzen. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich.

• Enggrubber, Ruth/Rützel, Josef (2014): Berufsausbildung junger Menschen mit Behinderungen. Eine repräsentative Befragung von Betrieben. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/GP_Berufsbildung_junger_Menschen_mit_Behinderungen.pdf [Zugriff am 25.05.2015].

• Degele, Nina (2008): Gender/Queer Studies. München: Fink (UTB)

• Hartmann, Jutta (2002): Vielfältige Lebensweisen. Dynamisierungen in der Triade Geschlecht-Sexualität-Lebensform. Kritisch-dekonstruktive Perspektiven für die Pädagogik. Opladen: Leske +Budrich.

• Häcker, Thomas/Walm, Maik (2015): Inklusion als Herausforderung an eine reflexive Erziehungswissenschaft. Anmerkungen zur Professionalisierung von Lehrpersonen in „inklusiven“ Zeiten. In: Erziehungswissenschaft 26 (2015) 51, S. 81-89 – URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-115785.

• Klapeer, Christine M. (2015): Vielfalt ist nicht genug! Heteronormativität als herrschafts- und machtkritisches Konzept zur Intervention in gesellschaftliche Ungleichheiten. In: Schmidt, Friederike/Schondelmayer, Anne-Christin/Schröder, Ute B. (Hg.): Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt: Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine. Wiesbaden: Springer VS, S. 25-44.

• Klemm, Klaus 2015: Inklusion in Deutschland. Daten und Fakten. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_IB_Klemm-Studie_Inklusion_2015.pdf [Zugriff am 25.05.2015].

• Köbsell, Swantje (2010): Gendering Disability: Behinderung, Geschlecht und Körper. In: Jacob, Jutta/Köbsell, Swantje/Wollrad, Eske (Hrsg.): Gendering Disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Bielefeld: Transcript, S. 17-34.

• Kultusministerkonferenz (KMK) (2011): Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20.10.2011. http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-Inklusive-Bildung.pdf [Zugriff am 25.05.2015].

• Kultusministerkonferenz (KMK) (2015): Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlungen von Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz. http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_03_12-Schule-der-Vielfalt.pdf [Zugriff am 25.05.2015].

• Moser, Vera (2013) (Hrsg.): Die inklusive Schule. Standards für die Umsetzung. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.

• Pfahl, Lisa/Buchner, Tobias/Traue, Boris (2015): Zur Kritik der Fähigkeiten: Ableism als neue Forschungsperspektive der Disability Studies und ihrer Partner_innen. In: Zeitschrift für Inklusion-online.net http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/273/256 [Zugriff am 25.05.2016].

• Prengel, Annedore (2006 [1993]: Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. 3. Auflage. Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

• Prengel, Annedore (2014): Heterogenität oder Lesarten von Freiheit und Gleichheit in der Bildung. In: Koller, Hans-Christoph/Casale, Rita/Ricken, Norbert (Hrsg.): Heterogenität. Zur Konjunktur eines pädagogischen Konzeptes. Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 45-68.

• Raab, Heike (2012): Intersektionalität und Behinderung – Perspektiven der Disability Studies. http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/schluesseltexte/raab/ [Zugriff am 25.05.2016].

• Rathgeb, Kerstin (2012) (Hrsg.): Disability Studies. Kritische Perspektiven für die Arbeit am Sozialen. Heidelberg: Springer VS.

• Rendtorff, Barbara (2015): Zugewinne und Fallen – aktuelle Veränderungen in Geschlechtervorstellungen und ihre Probleme. In: Dausien, Bettina/Thon, Christine/Walgenbach, Katharina (Hrsg.): Geschlecht – Sozialisation – Transformation. Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich, S. 77-92.

• UN-Behindertenrechtskonvention. www.behindertenrechtskonvention.info [Zugriff am 25.05.2016].

• Waldschmidt, Anne (2010): Das Mädchen Ashley oder: Intersektionen von Behinderung, Normalität und Geschlecht. In: Jacob, Jutta/Köbsell, Swantje/Wollrad, Eske (Hrsg.): Gendering Disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Bielefeld: transcript. S. 35-60.

• Walgenbach, K.atharina (2007): Gender als interdependente Kategorie. In: Walgenbach, Katharina/Dietze, Gabriele/Hornscheidt, Antje/Palm, Kerstin (Hrsg.): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich.

• Wedl, Juliette/Bartsch, Anette (2015) (Hrsg.): Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung. Bielefeld: Transcript.

Die Projektmitarbeiter_innen freuen sich über interne und externe Kooperationsanfragen zum Themenfeld Inklusion, Geschlecht und Heterogenität.

Aktuell bestehen Kooperationen mit folgenden Einrichtungen: